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FLEXIBILITÄT UND MOBILITÄT
JOSEF ALBERS’ ARMLEHNSTUHL TI 244

„Gebogenes Holz“, „federnde Rückenlehne“ und „Federpolster“ sind die Schlagworte, die den Armlehnstuhl mit der Nummer 244 der Bauhaus-Tischlerei (kurz ti) von Josef Albers auf seiner Reise durch die zahlreichen Ausstellungsorte der Bauhaus-Wanderausstellung 1929 bis 1930 begleiten. Auf einer Tafel befestigt, sollte die extrem einfache Zerlegbarkeit und der simple Aufbau des Stuhles und der damit verbundene platzsparende Transport des Möbels gleich auf den ersten Blick begreifbar werden. Albers nahm mit diesem Prinzip bereits vorweg, was IKEA-Möbel heute so beliebt macht. An einigen Ausstellungsorten wurde diese Demonstrationstafel durch ein aufgebautes Exemplar ergänzt; das Gesamtbild wurde so vervollständigt. Was sich hier nach einem Erfolg versprechenden Bauhaus-Design anhört, entwickelte sich mehr oder weniger zum Verkaufsflop. Die Herstellung erwies sich als zu aufwendig, sodass eine industrielle Massenproduktion nicht möglich war. Daher finden sich auch nur erhaltene Einzelstücke des ti 244 aus Privatnachlässen, die bis 1933 von der Berliner Firma J. C. Pfaff A. A. und Trunk & Co. produziert worden waren. Der ti 244 ist ein Armlehnstuhl, der mit dem großen Vorhaben konstruiert wurde, den Sprung von den teuren Stahlrohrmöbeln Marcel Breuers zum „Volksstuhl“ für jedermann zu schaffen; er scheiterte allerdings an seinen ehrgeizigen Ambitionen. Dass der ti 244 auch in der Bundesschule – in einem öffentlichen Gebäude – als Teil einer Sitzgruppe stand, war bisher allerdings kaum bekannt.

 

In der Sammlung des baudenkmal bundesschule bernau e. V. sind zwei Fotografien des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) erhalten, auf dem drei Sitzgruppen mit insgesamt acht der Armlehnstühle mit der Identifikationnummer ti 244 von Josef Albers zu erkennen sind. Sie sind im Aufenthaltsbereich im Foyer der Bundesschule, direkt vor der Glasfassade zum Speisesaal, zu sehen. Die Fotos stammen aus der Zeit des Betriebs der ADGB-Bundesschule zwischen Mai 1930 und Mai 1933. Es ist eine echte Neuentdeckung, dass acht der Armlehnsessel, die in den Ausstellungen zum Möbeldesign unter dem Direktorat von Hannes Meyer am Bauhaus (1928–1930) immer wieder als Paradebeispiel für Bequemlichkeit und Einfachheit präsentiert wurden, zum Einrichtungskonzept für die ADGB-Bundesschule gehörten. Bislang waren jedoch weder eine Bestellung der Möbel, die an das Bauhaus ging, noch irgendein ähnlicher Hinweis in einem der einschlägigen Archive auffindbar. Auch Brenda Danilowitz, Chefkuratorin der The Josef and Anni Albers Foundation, war bislang davon ausgegangen, dass der ti 244 in keinem öffentlichen Gebäude stand, und stützte sich hierbei auf Aussagen und Berichte von Josef Albers selbst.

Die Sitzecke im Foyer der Bundesschule, zu der die Sessel gehörten, ist auch in den Ausführungsplänen klar erkennbar: drei runde Tische mit insgesamt acht Sesseln, dargestellt als Vierecke. Dem Stuhl von Josef Albers wurde mit geplanten Werbemaßnahmen zur Vermarktung und der öffentlichen Präsentation in allen zu dieser Zeit relevanten Möbelausstellungen ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Produziert wurden die Sessel allerdings nicht am Bauhaus, sondern primär von der Gemeinnützigen Arbeitsgenossenschaft Lübeck. Die Auslagerung der Ausführung der Bauhaus-Möbeldesigns an externe Tischlereien war ein Ergebnis der Zusammenlegung der Bauhaus-Werkstätten zur Ausbauabteilung, die die Bauabteilung (die Architekturklasse) ergänzen sollte. Nach mehrfachen Reklamationen zur Qualität der Möbel hatte Meyer kurzerhand entschieden, dass nur noch kleine Auftragsproduktionen von ausgebildeten Tischlern, nicht aber von Studierenden, vorgenommen werden sollten. Die Werkstätten sollten ansonsten neue Materialien wissenschaftlich betrachten und mit ihnen experimentell neue leichte und funktionale Möbel gestalten. Die vollständige Auslagerung der Bauhaus-Möbelproduktion und -Vermarktung konnte letztlich jedoch nicht umgesetzt werden. Die Weltwirtschaftskrise und der Wechsel des Bauhaus-Direktors (von Hannes Meyer zu Ludwig Mies van der Rohe) verhinderten diese ambitionierten Pläne.

 

Fest steht, dass dem Armlehnstuhl ti 244 von Josef Albers eine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Der aus vier gebogenen Schichtholzstreifen und durch zwei Stahlstreben verbundene Stuhl lieferte hierfür das überzeugendste Ergebnis als Produkt des neuen Bauhaus-Möbeldesigns unter Hannes Meyer. Er sollte als solches speziell beworben werden und wurde in jeder relevanten Ausstellung des Bauhauses zwischen 1929 und 1930 zur Schau gestellt. Nicht zuletzt war der ti 244 der bildgewordene Unterschied zum Bauhaus unter Walter Gropius: Luxusbedarf (Breuer’sche Freischwinger aus teurem Stahlrohr und Eisengarn oder Leder) versus Volksbedarf (Albers’scher Armlehnsessel aus gebogenem Schichtholz und Federkernsitzfläche). Fest steht auch, dass der ti 244 – entgegen der bisherigen Annahme, er sei ausschließlich in Privatwohnungen (in der Wohnung von Albers selbst und in der Wohnung der Familie Thielepappe) verwendet worden – auch in einer zentralen Sitzgruppe aus acht Sesseln im Foyer direkt hinter dem Eingang zur Bundesschule in Bernau platziert war. In Bernau hatte er als Fortführung der Möbel aus dem Aufenthaltsraum eine mit braunem Leder bezogene Sitzfläche und Lehne – eine weitere Besonderheit, denn allgemein wurde der ti 244 mit dunklem Stoff bezogen. Dieser braune Lederbezug der Möbel setzte sich auch in den Stühlen des hinter der Sitzgruppe liegenden Aufenthaltsraumes fort.

Auch im Aufenthaltsraum plante Wera Meyer-Waldeck ausschließlich eine Ausstattung mit Bauhaus-Mobiliar: Hocker, Stühle und Tische waren allesamt mit demselben Grundgestell versehen und variierten in ihrer Größe. Das Gestell geht auf einen Entwurf von Josef Albers für einen Teetisch von 1927 zurück: vier U-förmige Elemente mit abgerundeten Enden, von denen zwei kürzere für mehr Stabilität sorgten. Die runden Tische (auch in den Seminarräumen und in der Bibliothek der Bundesschule in größerer Dimension verwendet) sind ti 204 Klapptische, deren Tischplatten einklappbar und Füße zusammenschiebbar waren. Stühle und Hocker wurde alle – wie auch die ti 244 Armlehnsessel – mit braunem Leder bezogen und waren so einfach zu reinigen und robust.

 

Im Gesamtbild des Inventars der Bundesschule, wo „Volkswohnungsdesign“ (ein Begriff, der sich auf die Ausstellung von Bauhaus-Möbeln in der Ausstellung „Volkswohnung“, 1929, im Leipziger Grassi Museum bezieht) in jedem Raum umgesetzt wurde (Tische, Stühle, Hocker, Betten), in Kombination mit zur Bauhaus-Ästhetik passenden Thonet-Möbeln und Zeiss-Strahlern, ergibt sich die vollständige Umsetzung des idealen Bauens, wie es Hannes Meyer zu dieser Zeit am Bauhaus praktizierte. Planung und Bau der Bundesschule zogen sich über die gesamte Zeitspanne des Meyer-Direktorats, von März 1928 bis Mai 1930 (im August 1930 erfolgte die Aufkündigung des Vertrags durch die Stadt Dessau). Hier realisierte Meyer, was er am Bauhaus für notwendig hielt: ein praxisnahes Zusammenwirken aller Bauhaus-Werkstätten am Bau. Es ist daher nur logisch, dass Meyer gerade an diesem Ort auch die damals neuen Bauhaus-Möbeldesigns in der Realität umgesetzt sehen wollte, als eine Art unwiderrufliche Hinterlassenschaft für sein Wirken am Bauhaus.